Hintergrund

Unsere Strolchen-Villa in Bassum ist speziell für die Aufnahme von Geschwistern konzipiert

Warum Geschwistern bei Inobhutnahmen eine besondere Bedeutung zukommt, und warum es manchmal trotzdem gut ist, sie zu trennen.

Als wir Clara und Chiara am späten Abend im Rheinland abholten, waren sie ganz ruhig und hielten sich einfach an der Hand. Sie hatten gerade erlebt, wie ihr Vater in Handschellen abgeführt wurde und ihre Mutter betrunken hinter ihm her schrie. Auch im Auto sagten sie nichts, ließen sich aber keine Sekunde los. Als die beiden in der Strolchen-Villa angekommen sind, schliefen sie zum Glück ganz schnell ein – Arm in Arm, eng aneinander gekuschelt. Man spürte das enge Band, das die 5-jährigen Zwillinge verband. So blieb es in der gesamten Zeit, als sie bei uns waren. Sie spielten, lachten, stritten, trösteten sich und kannten sich in- und auswendig. Sie waren füreinander die Verlässlichkeit, die sie brauchen.

„So ist es in den meisten der Fälle“, bestätigt Joy Linicus, die die Strolchen-Villa in Bassum leitet. „Geschwister geben sich meistens schon durch ihr gegenseitiges Dasein unglaublichen Halt und ich muss oft an den Spruch denken: Blut ist dicker als Wasser.“ Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Geschwister sich zeitweise nicht guttun oder sich gegenseitig blockieren. Dies hängt meistens ganz eng mit der Vorgeschichte zusammen. „Bei uns wohnen aktuell zwei Schwestern, die aus einer schlimmen Vernachlässigung kommen. Obwohl sie erst vier und fünf Jahre alt sind, mussten sie sich zu einem großen Teil selbst versorgen. Oft war der Kühlschrank leer, und sie wussten nicht, wann sie das nächste Mal Essen bekommen würden. Irgendwann – und das ist ganz normal, wenn es ans „Überleben“ geht – entwickeln die Kinder eine Konkurrenzsituation. Eine Art „Futterneid“ entstand. Dieses Gefühl wird jedoch mit Sicherheit bald weniger, sobald sie verinnerlicht haben, dass sie nun versorgt werden, und sie werden hoffentlich zusammen einen tollen Platz zum Großwerden finden. Typisch ist für Geschwistergruppen oft auch, dass der oder die Älteste eine Art Elternrolle einnimmt und damit für ein Kind viel zu viel Verantwortung auf den Schultern trägt. „Dann versuchen wir den älteren Geschwisterteil zeitweise für verschiedene Aktivitäten von dem jüngeren zu trennen, damit er wieder selbst Kind sein darf und lernt loszulassen, um Erwachsenen wieder zu vertrauen, dass sich gut um ihre Geschwister gekümmert wird. Leider gibt es auch immer wieder Situationen, in denen es Sinn macht, Geschwister nach der Inobhutnahme dauerhaft getrennt unterzubringen. Auch das hängt oft mit der Vorgeschichte zusammen. Joy erinnert sich an ein Geschwisterpaar, bei dem die Mutter ihr jüngstes Kind immer bevorzugt hat. Der Große entwickelte deshalb starke Aggressionen gegenüber seinem Bruder. Gleichzeitig entstand aber auch eine extreme Abhängigkeit und eine Art zwang, die beiden nicht guttat. Es ist für unser Team manchmal eine ganz schwere Entscheidung, aber hier haben wir empfohlen, die Jungs in getrennten Pflegefamilien unterzubringen, damit jedes Kind die Chance hat, sich bestmöglich zu entwickeln. So eine Situation ist zum Glück eher selten. „Für uns als Pädagogen ist immer die erste Priorität Geschwisterbeziehungen zu stärken, damit sie gemeinsam groß werden können“, so Joy. So war es auch bei Clara und Chiara. Sie sind zusammen in eine Pflegefamilie gezogen und dürfen jetzt endlich gemeinsam eine unbeschwerte Kindheit erfahren.