Hintergrund

15 Jahre Kinderheim Kleine Strolche – Rückblick und Ausblick

Anfänge des Kinderheims Kleine Strolche

Die Sanierung der alten Grundschule Asendorf dauerte drei Jahre. Dann hatten Anja und Bernhard Schubert aus dem alten historischen Gebäude, das auf einem großen Grundstück mit altem Baumbestand steht, ein wahres Schmuckstück gemacht. „Ein Paradies für Kinder“, stellten sie gemeinsam fest. Und das sollte es schon bald werden.

Alte Gebäude zu renovieren war immer schon eine Leidenschaft von Bernhard Schubert – aber im Herzen war und ist er eben immer noch Pädagoge. Gemeinsam mit seiner Frau bewarb er sich bei einem Träger für Erziehungsstellen, und schon bald fanden nach und nach sechs Geschwister ein neues Zuhause in der „Strolchen-Schule“.

„Ganz so harmonisch wie sich das anhört, war es leider nicht“, ist sich das Ehepaar Schubert einig. „Zum einen kamen die Kinder aus wirklich schlimmen Verhältnissen und waren schwer traumatisiert, zum anderen erhielten wir in dieser Zeit intensive Einblicke in die Kinder- und Jugendhilfelandschaft und waren teilweise über die Zustände schockiert.“ So wuchs der Gedanke, es besser zu machen. Einen Platz für Kinder zu schaffen, der sich wirklich an den Bedürfnissen der Kleinen orientiert. 

2008 – Gründung des Kinderheims Kleine Strolche

Das Ehepaar Schubert löste sich vom Jugendhilfe-Träger und machte sich 2008 mit ihrer 8-köpfigen familienanalogen Wohngruppe als „Kinderheim Kleine Strolche“ selbstständig.

2014 – Inobhutnahme und Mutter-Kind-Haus „Die Wiege“ wird eröffnet

Im April 2014 erfolgte der nächste Schritt. In einem alten liebevoll renovierten Bauernhof in Asendorf-Graue entstand die Inobhutnahme „Die Wiege“. Sechs Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren können hier in Obhut genommen werden und Schutz finden. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, einen Ort für ganz Kleine aufzubauen, da insbesondere in dieser Altersklasse ein großer Bedarf besteht“, erklären die Schuberts. In dem oberen Geschoss fanden zudem zwei Mütter gemeinsam mit ihren Kindern Hilfe.  Schon damals wurde ein Standard gesetzt: „Alle Häuser müssen so schön und liebevoll sein, dass auch wir gerne einziehen würden.“

Da viele Kinder aus einer akuten und heiklen Situation zu den kleinen Strolchen kommen, sind sie oft traumatisiert. Dementsprechend wurde das professionelle Team aufgebaut.

Inobhutnahme – das bedeutet immer eine Zwischenstation für die Kinder, die aus ihren Familien genommen werden müssen. Die Kinder kommen direkt aus einer akuten Gefahrensituation und bleiben nur so lange, bis das Jugendamt mit den Eltern eine dauerhafte Lösung gefunden hat oder ein Gericht eine Entscheidung über die Zukunft der Kinder trifft. Dies können wenige Tage, aber auch Monate bis hin zu Jahren sein.

2015 – Aufbau von Bereitschafts-Erziehungsstellen für die Betreuung von Kleinstkindern

Auch viele Säuglinge und Kleinstkinder suchten Schutz in der „Wiege“, deren Betreuung im Schichtdienst eine besondere Herausforderung darstellt. Um den Bedürfnissen der ganz Kleinen gerecht zu werden, entschlossen sich die Schuberts, eine Alternative zur klassischen Heimunterbringung anzubieten. 2015 entstand die erste „Bereitschafts-Erziehungsstelle“. Dabei leben pädagogische Fachkräfte mit den Kindern in häuslicher Gemeinschaft. „Diese Wohnform ist für Kinder mit besonderen Bedürfnissen konzipiert. Für Neugeborene, die besonders viel Nähe und eine feste Bezugsperson brauchen oder Kleinkinder mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die aufgrund von Misshandlungen oder Vernachlässigung so traumatisiert sind, dass sie sich in einer Gruppe nicht zurechtfinden.“ Nach und nach entstanden Bereitschafts-Erziehungsstellen des Kinderheims Kleine Strolche an verschiedenen anonymen Standorten in Niedersachsen.

2016 - Eröffnung Verwaltungsgebäude

Mit dem Wachstum des Kinderheims wuchs auch der Verwaltungsbedarf. 2016 wurde neben der „Inobhutnahme in Asendorf ein Verwaltungsgebäude gebaut. Damit endstanden im Haus „Die Wiege“ Platz für zwei weitere Wohnungen für schutzbedürftige Mütter mit Kindern, so dass auch heute noch insgesamt vier Mütter von den Kleinen Strolchen in Asendorf unterstützt werden können.

2017 – Der Förderverein „Kinderheim Kleine Strolche e.V.“ wird gegründet

Durch die Spezialisierung auf ganz kleine und traumatisierte Kinder zeigte sich immer mehr, dass mit den üblichen Tagessätzen der Jugendämter nicht mehr als Grundbedürfnisse der Kinder abgedeckt werden konnten. Standard war den Schuberts jedoch in Bezug auf die Kinder nie genug. 

Der Kinderheim Kleine Strolche e. V. wurde deshalb 2017 mit dem Ziel gegründet, insbesondere therapeutische Angebote für Kinder mit seelischen und medizinischen Erkrankungen zu finanzieren und die gesamten Einrichtungen des Kinderheims mit materiellen und personellen Ressourcen zur Förderung der Motorik und Sprache zu unterstützen. Zudem werden den Kindern Erlebnisse für die Seele finanziert, wie z. B. Ausflüge ans Meer oder in Freizeitparks.

Heute hat der Förderverein rund 120 Mitglieder.

2018 – Eröffnung des Therapiezentrums auf dem Rittergut Ovelgönne

Mit der Spezialisierung auf traumatisierte Kinder haben Anja und Bernhard Schubert eine besondere Verantwortung übernommen. „Wir möchten die Kinder hier nicht nur „verwahren“ und wertvolle Zeit verschenken. Wir möchten ihnen unmittelbare und intensive psychotherapeutische Hilfe zukommen lassen.“ Bei der Realisierung kamen  sie allerdings immer wieder an ihre –  nicht nur finanziellen –   Grenzen. Dies liegt zum einen an der extremen psychotherapeutischen Unterversorgung, insbesondere im ländlichen Lebensraum, und zum anderen an der Abhängigkeit von externen Therapieangeboten.

Nach einem dramatischen Schlüsselerlebnis mit einem kleinen Mädchen entschlossen sich die Schuberts, ein weiteres Wagnis im Sinne der Kinder einzugehen. Um unabhängig und konstant Therapien für ihre Schützlinge anbieten zu können, fiel 2018 die Entscheidung für den Aufbau eines internen Therapiezentrums im Rittergut Ovelgönne in Bücken.

Das Gelände wird heute für vielfältige heilpädagogische und psychotherapeutische Angebote genutzt, u. a. für den Bereich tier- und naturgestützte Therapie mit dem Schwerpunkt therapeutisches und heilpädagogisches Reiten.

Das Therapiezentrum der Kleinen Strolche wird bis heute komplett privat finanziert.  

2020 – Eröffnung des Therapiehauses

Im Frühjahr 2020 erfolgte ein weiterer Schritt in Richtung Unabhängigkeit. In einem Nebengebäude des Rittergutes wurde ein Therapiehaus eröffnet. Neben dem therapeutischen Nutzen, bei dem Sprachförderung, Sandspieltherapie, Klangschalentherapie und Entspannung im Fokus stehen, ist das Therapiehaus insbesondere ein geschützter Bereich für die Kinder und wird auch für Anbahnungstreffen mit potenziellen Pflegeeltern oder für Besuchskontakte mit Eltern genutzt.

2020 – Eröffnung der Inobhutnahme „Strolchen Villa“ in Bassum

Ein wichtiger Meilenstein war im Mai 2020 die Eröffnung einer weiteren Inobhutnahme in einem ehemaligen Hostel in Bassum. Die „Strolchenvilla“ bietet acht Kindern zwischen einem und sechs Jahren akuten Schutz vor Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung und ist dabei speziell auf die Aufnahme von Geschwistern ausgerichtet. 

„Oft werden Geschwister, wenn sie aus der Familie genommen werden, getrennt und in verschiedenen Einrichtungen untergebracht. Zu der Verarbeitung ihrer eigenen schrecklichen Erlebnisse komme dazu häufig noch die Sorge um die Geschwister“, so Bernhard Schubert. Deshalb sei es ihnen wichtig gewesen, bei der Aufnahme von Geschwistern Kinder bis zum Alter von 12 Jahren aufnehmen zu können.   

2021 - Eröffnung der Strolchen-WG für Mütter und Kinder

Die Inobhutnahme ist der Kernbereich der Kleinen Strolche. Jedoch verfügt das Kinderheim seit vielen Jahren auch über Schutzwohnungen für Mütter und ihre Kinder. Im Laufe der Zeit erreichen die Kleinen Strolche immer mehr Anfragen aus ganz Deutschland bei denen ein Schutzraum und intensivpädagogische Betreuung für Mütter in Krisensituationen gesucht wurde. So fiel 2021 die Entscheidung, das Haus neben der Inobhutnahme in Bassum zu kaufen und in ein Schutzhaus für Mütter und Kinder umzubauen. Die Strolchen WG entstand und bietet heute in vier separaten Apartments Platz für insgesamt 11 Schützlinge.

„Während viele Mutter-und-Kind-Einrichtungen nachts lediglich über eine Rufbereitschaft verfügen, gibt es bei den Kleinen Strolche eine durchgängige Anwesenheit von pädagogischen Fachkräften im Tag- und Nachtdienst. Denn alle jungen Eltern wissen – gerade in der Nacht kann der Stressfaktor mit kleinen Kindern extrem hoch sein, z. B. wenn sie schlecht schlafen oder stundenlang weinen.“ 

2022 – Verselbstständigung für Mütter und Kinder

Das große Ziel ist, nach der Zeit im Mutter-und-Kind-Haus in einen eigenen Haushalt zu ziehen und der Verantwortung für das Kind und sich selbst gegenüber gerecht zu werden. Die meisten Mütter schaffen im Kinderheim Kleine Strolche den Sprung in ein selbstständiges Leben – nicht zuletzt, weil nach der Zeit im Mutter-und-Kind-Haus das Alleineleben in Trainingswohnungen geprobt werden kann, bevor die junge Familie in ihr eigenes neues Leben startet. 2022 erweiterten die Kleinen Strolche deshalb den Trainingsbereich für Mütter.

2023 – Eröffnung Ruhe- und Naturhaus

Im Herbst 2023 eröffnen die Kleinen Strolche ein Ruhe- und Naturhaus auf dem Gelände des Therapiezentrums. Das Holzhaus soll den Kindern u. a. stille Erholungspausen ermöglichen, die für ihre Genesung von großer Bedeutung sind. Insbesondere Kinder, die neu zu den Kleinen Strolchen kommen oder Kinder, die schon sehr lange im Kinderheim wohnen und somit immer Teil einer größeren Gruppe sind, können das Haus auch mehrere Tage für Ruhephasen nutzen. Zudem sollen die tier- und naturgestützten Therapien weiter ausgebaut werden, weshalb das Haus inmitten der Natur und im direkten Kontakt zu den Therapiepferden steht.

Ausblick – die Zukunft der Kleinen Strolche

Immer mehr regulatorische Anforderungen seitens der Gesetzgeber –  z. B. im Bereich  Arbeitsrecht sowie den Fachkräftemangel – sind die Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2023. Diese machen auch vor den Kleinen Strolchen nicht halt. Deshalb wurde im Jubiläumsjahr eine wichtige, aber auch emotionale Entscheidung für die Zukunft getroffen.

„Nach nunmehr acht Jahren haben wir uns entschieden, den Leistungsbereich der Bereitschafts-Erziehungsstellen zum Jahresende einzustellen und uns mehr auf unseren Kern, die Inobhutnahme, zu konzentrieren und diesen auszubauen.“ Dieser Schritt sei zwingend notwendig, um das Kinderheim für die Zukunft fit zu machen. So ist geplant, im Jahr 2024 eine weitere Inobhutnahme in Asendorf zu eröffnen, die voraussichtlich acht Kindern ein Zuhause auf Zeit geben wird.