Hintergrund

„Die Kinder- und Jugendhilfe gerät in der öffentlichen Diskussion in Vergessenheit“

Johanna-Joy Linicus, Pädagogische Leitung der Kleinen Strolche, im Gespräch

Bereits seit vielen Jahren setzt sich Johanna-Joy Linicus für die Kleinen Strolche ein. Angefangen hat sie als FSJlerin, dann war sie Studentin, Fachkraft, Gruppenleitung – und ist inzwischen seit gut zwei Jahren Pädagogische Leitung. Sie ist mit den Strolchen gewachsen und hat an vielen Prozessänderungen mitgewirkt. Heute hat sie die Möglichkeit, viel zu bewirken und sieht, was bei den Kindern und Müttern direkt ankommt. Ihre Motivation ist ganz klar dafür zu sorgen, dass es allen Kleinen und Großen Strolchen gut geht.

 

Hallo Joy, wie würdest du deine Hauptaufgaben in wenigen Worten zusammenfassen?

Ich bin sozusagen der Anker im Haus. Meine Verantwortung reicht von pädagogischen Themen und Prozessen über Personalfragen bis hin zum Tagesgeschehen. Ich kümmere mich um Bewerbungen, um Anfragen und Netzwerkarbeit, und natürlich darum, dass die Gruppen gut funktionieren. Kurz gesagt: Ich halte die Fäden zusammen, damit alles läuft.

Mit welchen Herausforderungen kommen Kinder am häufigsten zu den Kleinen Strolchen?

Das ist sehr unterschiedlich, aber oft geht es um die Frage: Wo stehen die Kinder gerade? Aus welcher Situation kommen sie, wer ist zuständig – Jugendamt oder Gericht – und wie geht es für sie weiter? Häufig wissen wir sehr wenig über sie, ihre Rituale oder ihre Erfahrungen. Das macht den Start nicht einfach. Parallel versuchen wir, für jedes Kind ein Zuhause auf Zeit zu sein.

Gibt es besondere pädagogische Ansätze, die du in der Inobhutnahme verfolgst?

Wir arbeiten nicht nach einem festen Ansatz, sondern schauen individuell, was das jeweilige Kind braucht. Unser Team ist bunt aufgestellt – von Erzieher:Innen über Sozialarbeiter:Innen bis hin zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Diese Vielfalt hilft uns, bedürfnisorientiert zu arbeiten.

Wie sorgst du dafür, dass dein Team ein gemeinsames pädagogisches Verständnis entwickelt?

Wir haben regelmäßige Besprechungen, Supervisionen sowie Fachberatungen und legen großen Wert darauf, dass neue Mitarbeitende schon beim Onboarding unser pädagogisches Verständnis kennenlernen. So wird unsere Haltung und unser Anspruch ins ganze Haus getragen – und das spüren auch die Kinder und Mütter.

Welche Rolle spielt interdisziplinäre Zusammenarbeit, zum Beispiel mit den Therapeutinnen?

Eine sehr wichtige! Wir haben einen engen Austausch mit den Therapeutinnen, führen Telefonate und Teammeetings. Auch mit der Hauswirtschaft gibt es täglichen Austausch – das zeigt, wie vielfältig unser Netzwerk im Alltag funktioniert.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Kinderheime allgemein?

Das System ist überlastet. Es fehlt Geld, Personal und passende Strukturen. Es gibt keine bundesweite Plattform für freie Plätze, die Auflagen des Landesjugendamts sind hoch, und die Kinder- und Jugendhilfe gerät in der öffentlichen Diskussion viel zu oft in Vergessenheit.

Wie wirkt sich der Fachkräftemangel auf deine Arbeit aus?

Enorm. Ich kann als Pädagogische Leitung ja nur mit den Ressourcen arbeiten, die da sind. Wir holen das Beste heraus, aber am Ende ist es ein strukturelles Problem, das ich allein nicht lösen kann.

Was wünschst du dir für die Kinder und Mütter, die ihr begleitet?

Ich hoffe, dass sie viel Gutes mitnehmen, dass sie Kraft schöpfen können und dass ihre Zeit bei uns eine Stütze für die Zukunft ist. Und dass sie später mit einem guten Gefühl auf die Kleinen Strolche zurückblicken.

Was möchtest du jungen Fachkräften mitgeben, die in diesem Bereich starten?

Habt Mut, euch diesem Arbeitsfeld zu widmen! Man muss keine Hemmungen haben – es ist ein unglaublich wichtiger Job.

Wenn du an die Kleinen Strolche in zehn Jahren denkst: Was ist dein Wunschbild?

Egal wie groß oder klein wir dann sind – ich wünsche mir, dass wir immer noch dieses liebevolle Zuhause auf Zeit bieten können. Dass unsere Haltung, unsere Wärme und unser pädagogisches Verständnis nie verloren gehen.