05. Dezember

Zwischen System und Verantwortung

Ich möchte heute gerne von einer Situation erzählen, die ein Team sehr beschäftigt hat. Ein Kind wurde für ein Wochenende zu uns gebracht — kurzfristig, ohne dass alle notwendigen Informationen vorlagen. Ein Kind, das viel erlebt hatte und sehr herausfordernd war. Ein Kind, das eigentlich mehr Zeit gebraucht hätte, um anzukommen, als ihm gegeben wurde. Niemand hatte böse Absichten. Es war eine Entscheidung in einem System, das überall an seine Grenzen stößt. Platzmangel. Zeitdruck. Akute Not. Und trotzdem war es schwer. Schwer auszuhalten. Schwer zu begleiten. Schwer, weil wir wussten, wie sehr dieses Kind eigentlich Schutz, Ruhe und Halt gebraucht hätte. „Wir hätten mehr wissen müssen“, sagten die Mitarbeitenden. „Nicht für uns — für das Kind.“ Die Realität ist, dass Systeme manchmal schneller entscheiden müssen, als es gut wäre. Und dass Kinder dabei in Strukturen geraten, die sie nicht auffangen können. Nicht, weil niemand will. Sondern, weil alles eng ist. Überall.
Jeden Tag. Mein Team beschrieb, wie herausfordernd das Wochenende war. Wie aufmerksam sie waren — für die Sicherheit aller Kinder. Wie sehr sie jongliert und reagiert haben. Wie gut sie zusammengehalten haben. Und trotzdem blieb ein Gefühl zurück. Ein Satz, den eine Mitarbeiterin mir sagte, blieb mir besonders im Kopf: „Es ging darum, unterzubringen — nicht darum, anzukommen.“ Es war kein Vorwurf. Es war ein Schmerz. Ein ehrliches Wahrnehmen. Denn in der Inobhutnahme ist eines klar: Wir können vieles. Wir stabilisieren. Wir trösten. Wir schützen. Aber die Entscheidungen treffen wir nicht. Wir begleiten — mit all unserer Kraft. Und manchmal ist genau das schwer auszuhalten. Nicht, weil wir nicht wollen. Sondern weil wir sehen, wie viel ein Kind eigentlich gebraucht hätte.