Hintergrund
Alrun Ziegert ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin bei den Kleinen Strolchen und fängt Kinder nach existenziellen Krisen auf
Als Smutje die Meere der Welt zu bereisen, das war eigentlich ihr Traumjob. Und von dieser Sehnsucht, näher am Meer zu leben, profitieren nun die Kleinen Strolche. Denn seit ein paar Wochen bereichert Alrun Ziegert als festangestellte Kinder- und Jugendpsychotherapeutin unser Team. Alrun unterrichtete 23 Jahre Deutsch und Geschichte am Abendgymnasium in Zwickau, bevor sie nebenberuflich die fünfjährige Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin für Verhaltenstherapie machte. 2012 eröffnete sie eine eigene therapeutische Praxis in Zwickau. Nach 10 Jahren Selbstständigkeit und einer Station im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) Chemnitz, wo sie chronisch erkrankte Kinder behandelte, profitieren nun unsere Kleinen Strolche von ihrer Erfahrung.
Alrun, wir freuen uns riesig, dass wir durch dich das Therapieangebot für unsere Kinder um so einen wichtigen Part erweitern können. Mit Kindern zu arbeiten, die in Obhut genommen worden sind, birgt besondere Herausforderungen. Warum hast Du dich gerade dafür entschieden?
Inobhutnahmen sind tolle Einrichtungen und für manche Kinder die letzte Rettung. In manchen Fällen würden sie ohne die Herausnahme aus ihren Familien tatsächlich sterben. Die Kinder kommen dementsprechend aus einer existenziellen Krise zu uns in die Inobhutnahme. Ich kann diese Kinder mit meinem therapeutischen Wissen begleiten und ihnen in dieser schweren Zeit beistehen. Genau das ist meine Motivation. Ich weiß, dass meine Arbeit an dieser Stelle wirklich einen Sinn hat. Außerdem war es mir wichtig, mich während der Therapie ganz und gar auf die Bedürfnisse der Kinder einlassen zu können – ohne jeglichen Zeitdruck und ohne administrative Zwänge. Das ist im Rahmen des gemeinnützigen Therapiezentrums möglich. Zudem haben wir hier im Therapiezentrum eine wunderschöne kindgerechte Umgebung, bei der wir uns viel in der Natur aufhalten können.
Wie Du schon sagtest, die Kinder kommen oft von einem Moment auf den anderen aus einer existenziellen Krise zu uns. Was machen diese schlimmen Erfahrungen mit Kindern?
Psychischer Stress kann alles im Gehirn verändern. Deshalb ist es so wichtig, ihnen so schnell wie möglich therapeutische Hilfe zukommen zu lassen. Wir wissen, dass therapeutische Hilfe, wenn sie nötig ist, so zeitig wie möglich beginnen sollte, damit die oft traumatischen Erfahrungen möglichst wenig bleibenden Schaden anrichten.
Werden alle Kinder bei den Kleinen Strolchen therapiert?
Eine Therapie setzt immer eine Störung voraus. Einige Kinder verfügen tatsächlich über eine so hohe Resilienz, dass sie selbst mit der psychischen Belastung umgehen können. Einige Kinder entwickeln daraus sogar Kraft und Stärke. Meist ist jedoch das Gegenteil der Fall. Bei vielen Kindern ist ganz klar, dass sie schwer traumatisiert sind und dringend Unterstützung benötigen. In erster Linie ist es wichtig, dass die ErzieherInnen extrem sensibilisiert sind und Alarmsignale schnell erkennen, weil sie den besten Kontakt zu den Kindern haben. Typische Verhaltensweisen, die Anlass zur Sorge geben, sind beispielsweise, wenn ein Kind jegliche Fröhlichkeit verloren hat, sich sehr zurückzieht, sich aggressiv verhält oder auch Schlafprobleme hat. Werden diese Warnsignale wahrgenommen, sollte man schnell therapeutisch arbeiten, damit sich nichts entwickelt, was später eine Störung werden könnte.
Bei den Kleinen Strolchen sind die meisten Kinder unter 6 Jahren. Ab welchem Alter macht eine Psychotherapie überhaupt Sinn?
Eine Psychotherapie kann man schon mit Säuglingen beginnen, z.B. wenn eine dramatische Geburt oder invasive Eingriffe zum Start ins Leben gehört haben, vielleicht Fütter- oder Schlafprobleme entstanden sind. Das Schwierige ist, dass Kindern keine differenzierte, abstrakte Sprache zur Verfügung steht, wodurch dem Spiel bei der Verarbeitung von emotionalen Erlebnissen eine besondere Bedeutung zukommt. Und eben weil diese „Sprachlosigkeit“ für viele unserer Kinder zutrifft, wollen wir bei den Kleinen Strolchen bald mit einer wirkungsvollen Therapieform, der Sandspieltherapie beginnen. Den Kindern wird dabei die Möglichkeit gegeben, in einem sicheren Rahmen ganz frei und kreativ das tun, was sie gut können: spielen. Die Gegenstände im Sandkasten erhalten die Rolle von Worten und das Spiel wird zum natürlichen Kommunikationsmittel von Kindern, welches ihnen die Möglichkeit bietet, ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken, ihre innere Welt zu zeigen, Entlastung zu erfahren. Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Sprache zu verstehen und auf diesem Wege mit dem Kind so zu kommunizieren, dass die seelischen Verletzungen beginnen können zu heilen.
In einer Inobhutnahme ist eine längere Therapie oft gar nicht möglich, da die Kinder nur eine begrenzte Zeit dort leben. Macht das die Arbeit für dich schwerer?
Natürlich wächst Vertrauen nach und nach, und oft kann man Themen erst ansprechen, wenn man sich länger kennt. Das geht in der Inobhutnahme nicht immer. Man muss umdenken. Jede Stunde kann theoretisch die letzte Stunde sein, und so muss jede Therapiesitzung einen Abschluss haben, und man muss darauf achten, keine Prozesse auszulösen, die man nicht auffangen kann. Deshalb kann es in der Inobhutnahme auch nur um „therapeutische Ersthilfe“ gehen, um vielleicht schlimmere psychische Folgen zu verhindern.
Was soll deine Therapie bei den Kindern bewirken?
Die Kinder sollen die Therapiezeit als eine angstfreie Zeit erleben. Sie sollen sich ernstgenommen und wirklich gesehen fühlen. Ich wünsche mir, dass sie vielleicht kleine Dinge schaffen, auf die sie stolz sind. Ich möchte, dass sie Geborgenheit, Wärme und Sicherheit spüren. Ich möchte während meiner Therapie einfach voll und ganz für ein Kind da sein. Meine Therapiestunde soll dem Kind das Gefühl von Unbeschwertheit und Fröhlichkeit schenken. Es soll Erleichterung spüren und ein inneres Gefühl von Wärme.
Finanziert wird die Stelle der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin von einer Stiftung aus Meerbuch. Herzlichen Dank im Namen aller Kleinen Strolche!