Hintergrund
Letzte Chance Mutter-Kind-Einrichtung
Hilde Weiper ist Diplom-Heilpädagogin aus Überzeugung. Seit vielen Jahren arbeitet sie für die Kleinen Strolche mit den untergebrachten Müttern – viele von ihnen haben belastende Lebensgeschichten, psychische Erkrankungen oder stammen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Für Hilde ist diese Arbeit mehr als ein Beruf: Es ist ihre Berufung, Menschen dort zu begegnen, wo sie stehen – mit Wärme, Geduld und einem tiefen Verständnis für ihre individuellen Lebenslagen.
Die beiden Mutter-Kind-Gruppen der Kleinen Strolche sind für die Frauen häufig die letzte Chance, gemeinsam mit ihren Kindern Probleme aus der Vergangenheit sowie daraus resultierende aktuelle Schwierigkeiten aufzuarbeiten. „Bei mir finden sie einen geschützten Raum. Hier können sie sich ihren eigenen Belangen zuwenden, individuelle Herausforderungen anschauen und bewältigen“, erklärt Hilde. Viele der Frauen sind noch sehr jung, manche minderjährig, andere haben nie gelernt, wie es ist, sich selbst zu regulieren oder für ein Kind zu sorgen. Sie tragen schwere Geschichten mit sich – Geschichten von Gewalt, Vernachlässigung, psychischer Krankheit oder Sucht. Vertrauen fällt ihnen schwer, nicht nur in sich selbst, sondern auch in andere und das Leben. Hier beginnt Hildes Arbeit: behutsam, begleitend, nie bewertend.
In Einzelgesprächen arbeitet Hilde mit den Müttern an Themen wie Bindung, Resilienz und Körperwahrnehmung. Dabei geht es nicht nur um das „Wie“ in der Kindererziehung, sondern auch um das „Warum“ im eigenen Verhalten: Warum fällt es mir so schwer, Grenzen zu setzen? Warum weine ich, wenn mein Kind schreit? Hilde erklärt: „Ich helfe, diese inneren Fragen zu ordnen, emotionale Muster zu erkennen und neue Wege zu finden. Es gibt keine feste Vorgehensweise, alle Einheiten stimme ich individuell auf jede Frau ab.“ Ein zentraler Pfeiler ihrer Arbeit ist die Wahrnehmung eigener Körperempfindungen. In Momenten, in denen Worte fehlen oder zu viel sind, nutzt Hilde gezielte Bewegungsangebote, um die Mütter wieder in Kontakt mit sich selbst zu bringen. „Wie fühlt sich dein Körper an, wenn du atmest?“ – solche einfachen Fragen können der Anfang von Veränderung sein. Über den Körper findet die Heilpädagogin Zugänge, die über den Verstand oft versperrt bleiben.
Auch die Regulation von Emotionen steht im Mittelpunkt. Viele der Mütter haben nie gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen – weder mit der Wut ihres Kindes noch mit ihrer eigenen Angst oder Scham. „Bei mir lernen sie, ihre Impulse besser zu verstehen, sich selbst zu beruhigen und die Signale ihres Kindes zu deuten, statt sie als Angriff zu empfinden. Oft ist das ein schmerzhafter, aber heilender Prozess“, macht Hilde deutlich. Besonders wichtig ist ihr die Beziehungsarbeit. Vertrauen entsteht langsam, aber nachhaltig – oft in kleinen Momenten: beim Malen, kleinen Spaziergängen, vielen Gesprächen. Hilde weiß, dass Heilung Zeit braucht. Und dass Veränderung möglich ist, wenn die Frauen erfahren, dass sie es wert sind, gesehen und gehalten zu werden. Mit dieser Selbsterfahrung können die Frauen lernen, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen und diese in den Vordergrund zu stellen.
Nicht immer hat das Engagement von Hilde allerdings Erfolg: Manchmal ist einfach zu viel passiert, haben die Mütter zu viel in ihrem Leben durchmachen müssen, sind zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. „Manchmal merke ich, dass die Frauen trotz aller Bemühungen nicht in der Lage sind, eine belastbare Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen“, bestätigt die Heilpädagogin. „Dann kann es für das Kind oder die Kinder manchmal besser sein, woanders aufzuwachsen.“
Hilde erlebt Rückschläge, Konflikte, Tränen. Aber sie sieht auch Entwicklung, Mut und erste Schritte in ein selbstbestimmtes Leben. Ein Mensch, der ihr sehr in Erinnerung geblieben ist, ist Annamaria. Hilde erzählt: „Annamaria kam mit ihrem kleinen Sohn zu uns, Alkoholprobleme hatten dafür gesorgt, dass das Jugendamt einschreiten musste und ihr als Chance eine Mutter-Kind-Maßnahme anbot. Das Kind war sehr wild und laut, Annamaria selbst war verhältnismäßig neu in Deutschland und konnte die Sprache schlecht. Ich merkte aber schnell, dass sie den Mut zur Veränderung hatte. Mit etwas Unterstützung schaffte sie es bald, Sprachkurse zu besuchen – ihr Sohn bekam eine dringend benötigte Diagnostik und adäquate Hilfe. Sie war dann in der Lage, mit mir gemeinsam ihre Themen und Probleme anzuschauen. Heute hat sie einen sehr guten Umgang mit ihrem leicht autistischen Sohn, ist in eine eigene Wohnung gezogen und lebt selbstständig.“