Hintergrund

Erweiterung des Therapieangebotes: Die Kleinen Strolche starten mit Sandspieltherapie

„Habt ihr heute nur gespielt?“

„Ja … und nein“ – ist dann oft meine Antwort, und ich erkläre den Erwachsenen, was das Kind beim „Nur-Spielen“ noch alles geübt hat: Einfühlungsvermögen, Sinneswahrnehmung, Körpergefühl, planvolles Handeln, Flexibilität, Freude, Konzentration, Selbstwirksamkeit, Vorstellungskraft, Geschlechterrolle, Sprechen, Gleichberechtigung, Selbstbehauptung, Problemlösung, Geduld, Bedürfniswahrnehmung, Feinmotorik, Identität, Phantasie, Selbstkontrolle, Konfliktverarbeitung, Selbstständigkeit, Sicherheit, Kreativität, Respekt, Normen, Freiheit, Aufmerksamkeit, Respekt … Und wir haben uns auch von den Anforderungen der Realität ausgeruht, uns verbunden gefühlt, voneinander gelernt.

Das Spielen hat in der Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen eine große Bedeutung, weil es den Kindern noch nahe ist, etwas Bekanntes, das ihnen Freude macht, wobei sie sich ausprobieren können. Es bietet, egal in welcher Therapieschule, unendlich viele Möglichkeiten zur Entwicklung der Kinder beizutragen, und das auf eine fast unmerkliche Art und Weise.

Als ich vor Kurzem meine Arbeit im Kinderheim Kleine Strolche begonnen habe, die Kinder kennenlernen konnte, überlegte ich, welche Form der Unterstützung kann ich geben? Und auf der Heimfahrt von der Arbeit ging mir immer wieder „Sandspiel“ durch den Kopf. Das könnte eine Idee für Kinder sein, die Schlimmes erlebt haben, nicht darüber sprechen können, wollen oder sollen.

Das therapeutische Sandspiel in einem oder zwei Sandkästen mit trockenem und nassem Sand wurde in den 1920er Jahren von der britischen Ärztin Margarete Lowenfeld entwickelt und von der Schweizer Therapeutin Dora M. Kalff im deutschsprachigen Raum verbreitet. Wie muss man sich Sandspieltherapie vorstellen? In einem ansonsten reizarmen Raum stehen zwei Sandkästen, einer gefüllt mit trockenem, einer gefüllt mit nassem Sand. In Regalen stehen gut sichtbar für die Kinder viele, viele Figuren und Gegenstände aus allen denkbaren Lebensbereichen, Phantasiewesen und kleine Dinge aus der Natur wie Steine, Holzscheiben, getrocknete Blumen u. ä.

Die Kinder können im Sandkasten nun Szenen oder Welten aufbauen, die als Einstieg ins Gespräch dienen können, dem Therapeuten einen Blick in die Innenwelt des Kindes erlauben oder der Beginn einer Geschichte sind, die im Spiel verändert werden kann. Man nutzt das freie Spiel, damit Kinder sich auf einer nichtsprachlichen Ebene mitteilen können. Das Spiel im Sandkasten versteht man als Ausdruck von Wünschen, Ängsten, Identifikationen. Haben die Kinder schlimme Erfahrungen wie z. B. Vernachlässigung, Gewalt oder Missbrauch gemacht, kann es sein, dass die Erlebnisse sie in ihrer weiteren gesunden emotionalen Entwicklung behindern, weil die Psyche im Moment des Geschehens dafür gesorgt hat, dass ein Notfallmodus läuft, der nun nicht wieder abgeschaltet werden kann. Die Kinder wissen aus dem Erlebten keinen Ausweg, verstehen es nicht, haben manchmal dafür keine Worte, weil sie noch so klein sind. Und hier kommt der Sandkasten ins Spiel.

So zu tun „als ob“, schafft die Möglichkeit, Wut, Traurigkeit, Angst, aber auch den Wunsch nach Sicherheit und Zuwendung in einer kindgemäßen Art auszudrücken. Der Therapeut kann auf den Ablauf mit unterschiedlichen Interventionen mehr oder weniger Einfluss nehmen, je nachdem, was das Kind benötigt. Ich erinnere mich an einen 6-jährigen Jungen, der monatelang im Sandkasten mit Soldaten zwei Frontlinien aufbaute, die Soldaten gegeneinander kämpften und am Ende alle tot waren, im Sand vergraben werden mussten Wohlgemerkt hatte er nie einen Krieg erlebt. Alle Versuche, im Spiel Rettungsmöglichkeiten für die Soldaten zu finden, lehnte er vehement ab. Also „spielten“ wir die gleiche Szene immer und immer wieder und ich brauchte ein Gespräch mit meinem Supervisor. Nach Wochen war es dann möglich, einen Krankenwagen kommen zu lassen, der einen der Soldaten rettete. Und tatsächlich war dies der Anfang von anderen Gedanken und Gefühlen ohne Wut und Angst im Kopf meines Patienten. Denn das ist das Spiel: Es zeigt Möglichkeiten, die man gefahrlos ausprobieren kann. Und wenn es in meiner Welt nichts und niemanden gibt, der einen Krieg beenden kann, wird er ewig geführt. Aber wenn ich mir den Gedanken erlaube, ein Krankenwagen könnte kommen und einen Soldaten retten, dann schafft das ganz andere Gefühle, ganz andere Ideen, ganz andere Möglichkeiten. Im Übrigen macht Sandspieltherapie auch Spaß: Patienten werden zu Eichhörnchen, Eltern zu Ohrensesseln und Therapeuten zu Obstkörben!

Alrun Ziegert Kinderpsychotherapeutin